Interview Geschäftsleitung

Unsere Geschäftsleitung im Interview über das Geschäftsjahr 2020

Das vergangene Geschäftsjahr verlief anders als erwartet. Wie haben Sie es erlebt?

Kurt Orlandi: In der Tat verlief 2020 nicht nur für uns, sondern für die ganze Welt anders als erwartet. Die Herausforderungen sind und waren für viele Menschen sowohl im Privaten wie im Berufsleben enorm. Wenn ich mir vorstelle, was in einzelnen Regionen, in Branchen wie dem Gastrobereich oder mit der isolationsbedingten Einsamkeit in Alters- und Pflegeheimen in diesem Jahr alles passierte, nehme ich die erlebten Schwierigkeiten im Drahtzug etwas relativierter wahr. Dank der Unterstützung aller Personalangehörigen musste der Betrieb nie schliessen und die Zeit mit nur 20 % bis 30 % Personalbestand im Frühjahr 2020 hielt nur wenige Wochen an. Organisatorisch musste wie überall viel geleistet werden und die für Corona verbrauchten Ressourcen hätten wir lieber anders eingesetzt. Zusammenfassend bin ich froh und danke allen Menschen im Drahtzug für den grossartigen Einsatz während dieser Zeit. Wirtschaftlich wird uns dieses Jahr noch einige Zeit beschäftigen.

 

Was waren die schwierigsten Entscheidungen, die Sie im Geschäftsjahr treffen mussten?

Kurt Orlandi: Mit Auftreten von Corona im Frühling standen kurzfristig viele kleine Entscheidungen an. Diese waren grundsätzlich nicht so schwierig – eine grosse Herausforderung war eher die Kommunikation an sich. Schliesslich gab es viele verschiedene Meinungen, auch in Fachkreisen, und die Verunsicherung war gross. Umso mehr freute ich mich über das positive Feedback der Personalkommission (PEKO) zu unserer Führungs- und Informationspolitik in dieser Zeit. Was durchaus schwierig war, waren die Entscheidungen finanzieller Natur. Neben dem grossen organisatorischen Aufwand, der zu leisten war, durften beispielsweise keine Mehrstunden generiert werden und bestehende Mehrstunden mussten abgebaut werden. Trotz deutlichem Rückgang des wirtschaftlichen Ertrags löste Corona vor allem bei der Begleitarbeit einen erhöhten Aufwand aus und aufgrund der Hygiene- und Distanzmassnahmen musste jeder Raum mit Arbeitsplätzen eingerichtet werden. Hier gleichzeitig auf die Mehrstunden-Bremse zu drücken, war und ist nicht einfach.

 

 

«Die Erfahrung, dass der Drahtzug auch eine so schwierige Zeit letztendlich gut gemeistert hat, stimmt mich sehr zuversichtlich.»

Kurt Orlandi, Geschäftsleiter

 

 

Welche Massnahmen wurden getroffen, um die Zeit bestmöglich zu meistern?

Sandra Kübler: Mittels wöchentlicher Sitzungen konnten Themen aus der Basis angegangen und die aktuellen Informationen von BAG, Kanton und der SVA zeitnah durch die Geschäftsleitung weitergeleitet und berücksichtigt werden. Diese schnelle Orientierung, die Anpassung interner Abläufe sowie das Errichten BAG-konformer Infrastrukturen trugen zur Beruhigung und Sicherheit aller Beteiligten bei. Aus Betreuungs-Sicht war es wichtig, dass unsere Fachpersonen die Mitarbeitenden engmaschig begleiteten. Nur so konnten sie schnell erfassen, wo die Mitarbeitenden stehen, um darauf individuell zu reagieren. Wir brachten einigen auch Arbeitsmaterialien oder kreative Utensilien nach Hause und boten Unterstützung bezüglich Homeoffice.

 

 

«Während des Lockdowns war es besonders wichtig, dass unsere Fachpersonen die Mitarbeitenden engmaschig begleiteten.»

Sandra Kübler, Leiterin Integration

 

 

Nicole Reize: Um kurzfristig die Liquidität sicherzustellen, wurde der COVID-19-Kredit in Anspruch genommen. Weiter haben wir für kurze Zeit Kurzarbeit beantragt. Diese betraf vorwiegend unsere Mitarbeitenden, welche hauptsächlich an den Kundenaufträgen arbeiten. Wir entschieden in der Geschäftsleitung, dass wir bei allen Personalangehörigen den vollen Lohn weiterzahlen und der Drahtzug die Differenz trägt. Dies auch aus dem Grund, dass wir die Mitarbeitenden, welche ohnehin in der Corona-Zeit eine überdurchschnittlich schwierige Zeit durchmachen, nicht auch noch mit Lohnkürzungen belasten wollten. Alle haben sich enorm für den Drahtzug eingesetzt und damit verdienen auch alle ihren gesamten Lohn und ein grosses Dankeschön. Allen wirtschaftlichen Kunden, die uns in dieser Zeit die Treue hielten, sind wir enorm dankbar.

 

Gab es im vergangenen Jahr trotz allem auch persönliche Highlights?

Sandra Kübler: Absolut. Mich hat beeindruckt, mit welch enormer Sorgfalt die Sicherheit von uns allen gewährleistet und wie flexibel und kreativ reagiert wurde. Zur Kreativität gibt es ein paar wunderbare Beispiele. So konzentrierte sich das Atelier nebst der Sicherstellung der Tagesstruktur auf verschiedene Projekte zu den Themen «Solidarität» und «Freude schenken». Beim ersten Projekt wurde eine Art «Wunschbaum» entwickelt – eine Sammlung von Zetteln mit guten Wünschen, die an verschiedenen Orten in der Nachbarschaft aufgehängt wurden. So konnten unsere Teilnehmenden im Atelier, aber auch die Kundschaft sowie alle Nachbarn nach Lust und Laune Zettel abreissen, mitnehmen oder weiterverschenken. Das Ganze kam so gut an, dass die Idee im Rahmen eines Projektes der Kantonsschule Hohe Promenade in Zürich übernommen wurde. Bei einem weiteren Atelier-Projekt ging es um den Schutz der Baby-Kängurus in Australien, die bei den Buschbränden ihre Mütter verloren hatten. Die Atelier-Teilnehmenden strickten zahlreiche kleine Wärmetaschen für die Tierchen, die wir anschliessend nach «Down Under» schickten. (Mehr über das Känguru-Projekt erfahren Sie hier)

 

Welche weiteren Erlebnisse sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Nicole Reize: Es gab immer wieder Rückschläge, wenn wieder ein Team-Mitglied wegen Krankheit, Vorerkrankungen oder Quarantäne zu Hause bleiben musste. Wer vor Ort tätig war, musste teils bis an die Grenzen der eigenen Leistungsfähigkeit gehen. Trotzdem stand die Solidarität über allem – und das hat man gespürt. Alle gaben ihr Möglichstes, um den Betrieb zugunsten von Menschen mit psychischen Erkrankungen aufrechtzuerhalten.

 

 

«Die Solidarität stand über allem – und das hat man gespürt.»

Nicole Reize, Leiterin Dienste

 

 

In den verschiedenen Geschäftsfeldern sind Sie äusserst fortschrittlich unterwegs. Inwiefern kam dies dem Drahtzug zugute?

Franz Sieber: Im Drahtzug steht das kundenorientierte Handeln seit jeher im Zentrum. Und dieses pflegten wir auch während dieser schwierigen Zeit, die geprägt war von plötzlichen Einschränkungen. Unser gewohnter Wille, durch grosse Flexibilität scheinbar Unmögliches möglich zu machen, half uns dabei. So konnten wir 2020 sogar neue Kunden dazugewinnen.

Nicole Reize: Kurz vor dem Lockdown stellten wir auf eine Cloud-Lösung mit Standort Schweiz um. So war die Drahtzug-IT rasch parat für Personen, die wegen Vorerkrankungen oder Quarantäne von zu Hause aus arbeiten mussten. Mit unserem Office, welches bereits seit Jahren mit ABACUS arbeitet, sind wir auch bestens für eine virtuelle Revision unserer Kundenmandate gerüstet. So konnten auch im Frühling 2020 sämtliche Revisionen problemlos und zeitgerecht durchgeführt werden. Äusserst wertvoll während der gesamten Pandemie war auch unser Personalrestaurant. Es ist ein Luxus, dass wir uns hier unter Einhaltung der Corona-Vorschriften bequem verpflegen können, während gewöhnliche Restaurants geschlossen sind.

 

In welchen Geschäftsfeldern sehen Sie aktuell das grösste Potenzial?

Franz Sieber: Der seit Jahren spürbare Onlineversandhandel-Trend hat durch die Pandemie zusätzlichen Auftrieb erhalten. Davon profitieren auch wir. In unseren professionellen Versanddienstleistungen sehe ich darum enormes Potenzial. Wir sind nun im Jahr 2021 auch daran, eine neue Lagerverwaltungssoftware und Barcodescanner zu implementieren. Dies wird uns ermöglichen, unsere Prozesse noch schlanker zu gestalten.

 

 

«In unseren professionellen Versanddienstleistungen sehe ich enormes Potenzial.»

Franz Sieber, Leiter Betrieb

 

 

Wo steht der Drahtzug aktuell in der Umsetzung der UN-BRK?

Kurt Orlandi: Eine spannend formulierte Frage. Eigentlich massen wir uns mit unserem Projekt nicht an, die UN-Behindertenrechtskonvention «umzusetzen». Vielmehr erachten wir eine solche Umsetzung als Generationenprojekt. Bei der UN-BRK geht es um grundlegende Fragen im Verständnis von unserer Alltagsarbeit und in unserem Selbstverständnis als soziales Unternehmen. Das Ziel war, zusammen mit unseren Mitarbeitenden ganz pragmatisch zu schauen, wo die UN-BRK unseren Arbeitsalltag tangiert und welche Massnahmen in diesem Sinne förderlich sind. Leider mussten wir infolge von Corona und der begrenzten Ressourcen mit dem Start der Massnahmenumsetzung nun ein Jahr warten. Aber schon in den nächsten Tagen wird die eingesetzte Monitoring-Gruppe aktiv. Ich erlebe eine Aufbruchstimmung und freue mich nun sehr auf das, was kommt.

 

Wo setzen Sie, Herr Orlandi, Schwerpunkte für das kommende Jahr?

Kurt Orlandi: Die erwähnte Aufbruchstimmung gilt es zu stärken und zu erhalten. Aufgrund natürlicher Fluktuation starteten in den vergangenen Monaten auch einige neue Führungskräfte im Drahtzug. Das bringt frischen, manchmal auch etwas starken, aber sicher lebendigen Wind in den Betrieb. Frühzeitig im Hinblick auf meine Pensionierung in etwa zwei Jahren haben wir mit Sandra Kübler als Leiterin Integration die Geschäftsleitung und damit auch unseren Kernauftrag gestärkt, Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen zu begleiten und bei der Integration in die Arbeitswelt zu unterstützen. So sind wir sehr gut gerüstet, die kommenden Herausforderungen anzugehen. Einen Schwerpunkt bildet die Steigerung der Attraktivität der Arbeitsplätze der Mitarbeitenden und damit eine Stärkung der Nachfrage nach solchen Arbeitsplätzen. Ganz im Sinne der von der UN-BRK geforderten Wahlfreiheit sollen unsere Arbeitsplätze noch mehr auf die Anliegen unserer Mitarbeitenden ausgerichtet werden.

 

Was nehmen Sie persönlich aus diesem speziellen Jahr mit?

Kurt Orlandi: Dass viele Selbstverständlichkeiten – angefangen bei körperlicher Nähe durch Händeschütteln bis hin zur Organisation einer Schulung – tatsächlich nicht mehr so selbstverständlich sind. Die neu gewonnenen Fähigkeiten, dies zu kompensieren und trotzdem beruflich wie privat mit Menschen in Beziehung zu stehen, sind ein wichtiger Pfeiler in meinem Alltag. Insgesamt stimmt mich die Erfahrung, dass die Menschen im Drahtzug auch eine so schwierige Zeit letztendlich gut gemeinsam gemeistert haben, sehr zuversichtlich für die Zukunft.

Sandra Kübler: Mir hat die Erfahrung in diesem Geschäftsjahr gezeigt, wie wertvoll Flexibilität und Professionalität in ausserordentlichen Situationen sind. Und dass der Drahtzug in der Lage ist, sich Veränderungsprozessen zu stellen und diese zu meistern.

 Nicole Reize: Ich habe gespürt, dass mir im Privatleben die persönlichen Kontakte ausserhalb der Kernfamilie sehr stark fehlen. Menschen sind für mich extrem wichtig – ich möchte die mir Nahestehenden wieder in die Arme schliessen können. Auch stellte ich fest, dass ich richtig gerne zur Arbeit gehe und den persönlichen Austausch mit den Personalangehörigen sehr schätze. Nur so kann ich meiner Rolle als Geschäftsleitungsmitglied gerecht werden und herausspüren, wie es unseren Leuten geht. Im Homeoffice ist das leider sehr schwierig.

Franz Sieber: Dieses aussergewöhnliche Jahr hat deutlich gemacht, dass nahezu alles bewältigt werden kann, wenn alle am gleichen Strick ziehen. Ganz nach dem Sprichwort «Geteiltes Leid ist halbes Leid». Ich stelle heute sogar einen noch grösseren Zusammenhalt innerhalb des Drahtzug-Teams fest. Darüber hinaus hat die ganze Gesellschaft am eigenen Leib erfahren, was es bedeutet, mit Einschränkungen zu leben. Ich nehme darum auch die Hoffnung mit, dass das Verständnis für Menschen wie unsere Mitarbeitenden wächst. Ihre psychischen Beeinträchtigungen werden bleiben, auch wenn die Pandemie vorbei ist.

 

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