Herr Goetz, Sie waren bei Drahtzug 30 Jahre im Vorstand, 23 davon als Präsident.
Eine lange Zeit. Was hat Sie motiviert?
H. Goetz: Mich hat diese Aufgabe fasziniert. Zudem sehe ich das Engagement für Drahtzug als sehr wertvoll an. Die gesamte Zeit und die Themen, die wir gemeinsam angegangen sind, waren sehr vielfältig. Die Zusammenarbeit mit der Geschäftsleitung war gleichermassen inspirierend wie produktiv. Auch hatten wir immer einen homogenen Vorstand, der sich optimal ergänzte. Sowohl inhaltlich als auch menschlich.
Wie oft trifft sich denn der Vorstand und was gehört zu seinen Kompetenzen?
H. Goetz: Vier bis fünfmal im Jahr. Unsere Agenda beinhaltet Themen wie den Jahresabschluss, Quartalsbericht oder Investitionen. Parallel dazu befasst sich die Betriebskomission mit akuten Herausforderungen, um nicht den gesamten Vorstand zu involvieren. Grundsätzlich trennen wir klar zwischen strategischer und operativer Ebene und konzentrieren uns auf die strategischen Aufgaben. Dies bedingt, dass Geschäftsleitung und Vorstand gut und vertrauensvoll miteinander zusammenarbeiten.
Herr Merk, das hört sich nach einer neuen, grossen Herausforderung an. Was reizt Sie an dieser Aufgabe?
P. Merk: Zunächst mal möchte ich der Gesellschaft etwas zurückgeben. Es war für mich an der Zeit, dies in die Tat umzusetzen. Und ich bin beeindruckt, welch gute und professionelle Arbeit hier geleistet wird. Drahtzug ist auf allen Positionen bestens besetzt, von der Geschäftsleitung und dem Vorstand bis zu allen Geschäftsfeldleitungen sowie allen anderen Angestellten. Mein Ziel ist, dass ich genau diesen Weg fortsetzen möchte und auf Kontinuität setze. Aber Sie haben recht. Es ist eine Herausforderung. Beispielsweise verändert sich der gesamte Markt. Die Mechanismen muss man erst verstehen und gute Antworten finden, um sich weiter erfolgreich zu behaupten.
Wie genau verändert sich der Markt?
P. Merk: Digitalisierung ist ein grosses Thema. Die Frage ist aber, ob man komplett darauf setzen muss oder sich auf die Kernkompetenzen fokussiert. Ein grosser Mehwert von uns ist, dass wir noch handwerkliche und dienstleistungsorientierte Angebote haben. Diese klassische Welt wird zukünftig vielleicht wieder etwas mehr gefragt sein. Schliesslich müssen wir authentisch bleiben und sehen hier unsere Stärke. Drahtzug ist eine grosse Organisation, bei der es ohnehin immer wieder zu Veränderungen kommen wird. Man muss gut vorbereitet sein, damit man bei allen Eventualitäten zeitnah die richtigen Entscheidungen treffen kann.
Herr Goetz, wie kann man sich über so eine lange Zeit immer wieder neu motivieren?
H. Goetz: Ich hatte nie einen Durchhänger. Aber mit den vielen Jahren entsteht eine gewisse Normalität und Routine. Das ist nicht gut und war sicher auch eine Motivation, dass jetzt neuer Wind reinkommen soll. Grundsätzlich hat mich die Dynamik am Drahtzug immer wieder inspiriert. Ich habe bewusst viele Kontaktpunkte gesucht, war bei Anlässen und Ausflügen dabei oder habe die Menschen in den Geschäftsfeldern besucht. So lernt man viele persönliche Lebensgeschichten kennen. Ich fühlte mich als Teil der Hilfe, den Mitarbeitenden eine Struktur und etwas mehr Glück geben zu können. Dieser Bezug war mir sehr wichtig.
Belasten diese Lebensschicksale auch?
H. Goetz: Natürlich nimmt das einen schon mit. Aber ich bin von Natur aus ein sehr optimistischer Mensch. Und ich sehe hier bei unseren Mitarbeitenden, dass die Hilfe ankommt. Die Strukturen, die wir geschaffen haben, geben Zufriedenheit und Sicherheit. Gerade bei Anlässen erkennt man das sehr schön. Es ist eine fröhliche Gesellschaft. Sie haben eine gute Zeit miteinander, sind unbeschwert und haben wieder Freude am Leben. Das sieht man in ihren Gesichtern. Besonders beeindruckend finde ich, mit welcher Offenheit sie ihre Geschichte erzählen.
Auf was sind Sie am meisten stolz?
H. Goetz: Es sind strategische Aufgaben, bei denen ich Teil sein durfte. Beispielsweise die Entwicklung der nachhaltigen Integration in unsere Gesellschaft oder auch die Eruierung neuer Geschäftsfelder. Ich muss aber klar sagen, dass der Haupttreiber die Geschäftsleitung ist. Sie sehen die Chancen und Opportunitäten und möchten neue Wege einschlagen. Mein grösster Erfolg ist vermutlich die harmonische und konstruktive Zusammenarbeit.
Herr Merk, was schätzen Sie am Drahtzug?
P. Merk: Den sozialen Leistungsauftrag und wie er tagtäglich umgesetzt wird. Die Philosophie von Drahtzug ist, dass jeder und jede Mitarbeitende genau nach seinen/ihren Fähigkeiten gefördert wird. Das beeindruckt mich. Ich könnte ja momentan auch nicht den Mount Everst hochklettern. Könnte es aber probieren. Und genau dieser Ansatz wird im Drahtzug gelebt. Dazu kommt der motivierende Umgang, ein regelmässiger Austausch und eine offene Feedbackkultur. Polyvalenz wird gefördert. Egal ob intellektuell oder physisch.
Und betriebswirtschaftlich?
P. Merk: Eins ist klar: Wir sind ein Betrieb wie jeder andere auch. Wir müssen leisten und liefern. Sowohl im Bereich «Integration» als auch im Bereich «Dienstleistungen und Produkte». Im Ergebnis darf man keinen Unterschied spüren. Unsere Kunden erwarten die höchste Qualität. Alles ist sehr gut organisiert und strukturiert. Wir leben Qualitätsbewusstsein, Prozesse, Verbesserungen, persönliches Engagement und Passion. Das will ich weiter prägen. Es ist aber auch ein hartes Geschäft. Wie jeder Produktions- oder Servicebetrieb müssen wir gute Produkte haben, neue Kunden gewinnen und sie zufrieden stellen. In meinem Netzwerk sehe ich viele Ideen, die ich angehen möchte.
Hört sich gut an. Gibt es denn auch Dinge, die verbessert werden müssen?
P. Merk: Natürlich analysieren, hinterfragen und optimieren wir unsere Prozesse stetig. Wir sehen zum Beispiel Herausforderungen bei Logistik- und IT-Systemen. Weiterhin müssen die Beziehungen zu vermittelnden Stellen noch weiter verstärkt werden, damit die richtigen Leute unser breites und tiefes Angebot kennen. Ich bin aber überzeugt, dass wir die richtigen Instrumente finden werden.
H. Goetz: Das sehe ich genau so. Ich möchte ergänzen, dass die Akzeptanz für Philippe Merk im Gremium sehr hoch ist und direkt auf Gegenliebe stiess. So ist eine gute Zusammenarbeit garantiert. Man spürt jetzt schon sein Engagement. Es ist bewundernswert, wie schnell er sich in die Materie einarbeiten konnte. Mit einer eigenen Meinung von Anfang an, die richtigen Fragen gestellt und gute Ideen eingebracht.
Herr Goetz, was ist speziell an Drahtzug?
H. Goetz: Es braucht eine gute Balance zwischen sozialer Verantwortung und wirtschaftlicher Leistungserbringung. Wir brauchen Leute, die für ihre Tätigkeiten befähigt sind. Unsere Produkte müssen in einer Top-Qualität und pünktlich abgeliefert werden. Wenn das nicht stimmt, hat man verloren. Das war unsere grösste Challenge. Auch sind wir immer auf der Suche nach neuen Chancen und Möglichkeiten, was wir beispielsweise mit dem Bereich Lebensmittelverpackung für einige Jahre sehr erfolgreich umgesetzt haben.
Wie sehen Sie die Zukunft?
H. Goetz: Der wirtschaftliche Druck und die Konkurrenz wachsen. Nur allein wegen der «Drahtzug-Idee» werden bei uns keine Aufträge platziert. Man erwartet perfekte Leistung zum guten Preis. Schauen wir zurück: Vor 30 Jahren haben wir im Jahr rund 200 Leute betreut. Jetzt sind es über 400. Man könnte meinen, dass sei eine schöne Expansion. Aber eigentlich ist es ja gesellschaftlich gesehen eher traurig. Schöner wäre, man könnte es auf Null abbauen, was aber in unserer heutigen Gesellschaft kaum möglich sein wird. Wir müssen unsere Dienstleistung gut pflegen und Menschen mit Beeinträchtigung auch zukünftig zur Verfügung stellen.
P. Merk: Mich stört es nicht, wenn Drahtzug weiterhin wachsen und mehr Menschen Hilfe geben kann. Veränderungen in der Arbeitswelt sehe ich natürlich auch. Wir müssen schauen, dass wir noch mehr Unternehmungen für unsere Dienstleistungen gewinnen können. Schliesslich profitieren wir von der Digitalisierung und der Entwicklung im Online-Handel. Auch wäre es lohnenswert bei privaten Haushalten darüber nachzudenken, welche Arbeiten man auslagern könnte.
Herr Goetz, nur drei Wörter: Was bedeutet Drahtzug für Sie persönlich?
H. Goetz: Ein Beitrag an die Gesellschaft, Engagement, Menschlichkeit.
Jetzt Sie, Herr Merk, auch nur 3 Wörter!
P. Merk: Ein bisschen mehr Glück im Leben, Kontinuität und Entwicklung, starkes Teamwork.
Wenn wir nach vorne schauen, Herr Merk, was sollen andere nach 30 Jahren Drahtzug über Sie sagen?
P. Merk: Er hat’s gut gemacht.
Herr Goetz, was wünschen Sie Ihrem Nachfolger für die Zukunft?
H. Goetz: Ich muss ihm nichts wünschen. Er hat alles. Aber natürlich viel Freude an der Arbeit.
Müssen wir Sorge haben, dass Ihnen langweilig wird?
H. Goetz: Definitv nicht. Ich habe immer noch ein paar berufliche Projekte, die sehr diversifiziert sind. Das macht mir Freude. Von der Präsidenschaft für einen Förderverein im Bereich Gastronomie bis zur Tourismusorganisation in Graubünden und SPITEX ist vieles dabei. Ich bleibe also aktiv. Und dem Drahtzug ein Leben lang verbunden.
Berufliche Stationen
Berufliche Stationen